Die Musik dieses Programms entstand in der kulturellen Herbstzeit des Hofes von Herzog Alfonso II. d’Este; es evoziert das musikalische Leben am Hofe Ferraras während den letzten Jahren von Alfonsos Herrschaft. Die vorherrschende Stimmung in einer Zeit des unaufhaltsamen Niedergangs ist die Sehnsucht nach dem Frühling sowie nach einem Neuanfang.
Die Stimmungen und Bilder der Werke beziehen sich auf die Situation der d’Este-Dynastie am Ende des 16. Jahrhunderts: Herzog Alfonso II. d’Este hatte bereits zwei kinderlose Ehen hinter sich, und alle Hoffnungen lagen nun auf seiner dritten Gattin Margherita di Gonzaga; sie stammte aus Mantua und kam 1579 nach Ferrara. Nur durch einen legitimen männlichen Erben konnte das Herzogtum Ferrara vor der Übernahme durch einen der mächtigen Nachbarstaaten bewahrt werden.
Eng verbunden war Margherita di Gonzaga mit dem wichtigsten Ensemble des damaligen Musiklebens in Ferrara, dem berühmten Concerto delle Donne. Dieses bestand im Kern aus drei Sängerinnen, die sich auf Harfe, Laute und Viola da Gamba selbst begleiteten, oftmals auch in Begleitung des Komponisten Luzzasco Luzzaschi sowie des Bassisten und Lautenisten Giulio Cesare Brancaccio. Einige der für das Concerto delle Donne geschriebenen Stücke bilden den Schwerpunkt des Programms.
Unter den Komponisten stand Luzzasco Luzzaschi dem Ensemble am nächsten; seine Werke für eine, zwei und drei Sopranstimmen schrieb er speziell für die Damen des Concertos. Andere Komponisten aus Luzzaschis Umfeld, wie z.B. sein Schüler Girolamo Frescobaldi, sind mit Vokal- und Instrumentalstücken ebenfalls im Programm vertreten.
Aufgrund von Margherita Gonzagas Herkunft pflegte das Concerto delle Donne auch enge Verbindungen nach Mantua, wo Giaches de Wert viele Jahre tätig war; er hielt sich einige Zeit am Hof von Ferrara auf. Von ihm stammen die beiden fünfstimmigen Stücke O Primavera (Text von Giovanni Battista Guarini) und Cara la vita mia, das seinerzeit enorm populär wurde. In diesem Programm dient es auch immer wieder als Bezugspunkt.
Insbesondere in Guarinis O Primavera spiegelt sich die Hoffnung auf Margheritas zukünftigen Sohn. Die Frühlingszeit wird als Jugend des Jahres, Mutter der Blumen und als neue Liebe gefeiert. Gleichwohl offenbart sich im Gedicht auch schon Bitterkeit: Du kehrst zurück, die glücklichen Tage meiner Freuden aber bringst du nicht mit dir. In der Tat erfüllten sich Ferraras Hoffnungen auf einen Erben nicht: Alfonso verstarb 1597 ohne legitimen Nachfolger, und Ferrara fiel (als dessen Lehen) an den Kirchenstaat zurück. In der Folge mussten die d’Este die Stadt verlassen, und die Hofkapelle wurde aufgelöst. Ferraras Blütezeit war schlagartig beendet, der Ruf des Concerto delle Donne und das reiche kulturelle Leben des herzoglichen Hofes erloschen. Kein zweiter Frühling stellte sich ein.
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Amor, nein, du bist nicht blind, aber wer sich deinen Händen anvertraut, den kannst du blenden, und so bist du treulos mehr als blind.
So kommentiert der Chor in Giovanni Battista Guarinis Schauspiel Il pastor fido die leidenschaftliche, aber bedrohte Beziehung zweier Liebenden. Im dritten Akt des Stücks, das in der idyllischen Hirtenwelt Arkadiens spielt, beteiligen sich die beiden Liebenden an einer Partie Blinde Kuh (Gioco della Cieca). Amaryllis taumelt mit verbundenen Augen in die Arme Mirtillos, der sie insgeheim begehrt. Während so die beiden Gestalten verwirrt umherirren – Amaryllis wegen ihrer Augenbinde, Mirtillo wegen seiner Liebesqualen –, beklagt der Chor die verräterische und falsche Natur der blinden Liebe.
Der unsichtbare «Faden» des Blicks zwischen Liebenden ist auch ein Thema des Konzertprogramms von Concerto di Margherita. Sehen und Schauen sind eine Quelle sowohl der Freude wie auch der Verzweiflung für den Liebenden, der nur für den Blick und Anblick seiner Geliebten lebt. Wenn die Liebe unerwidert bleibt, so ist dies seine einzige Möglichkeit, um das geliebte Objekt zu begehren. Ein Liebender kann alles, was er sich wünscht, in die Augen der geliebten Person hineininterpretieren.
Die Komponisten
Die italienisch-irische Musikerin Giovanna Baviera wurde in Luxemburg geboren. Sie studierte zuerst Musikwissenschaften am Trinity College Dublin, wo sie ihr Studium mit Auszeichnung abschloss. Ab 2011 studierte sie Gambe an der Schola Cantorum Basiliensis bei Paolo Pandolfo; 2016 schloss sie ihr Masterstudium mit Schwerpunkt Pädagogik ab. Neben ihrem Gambenstudium nahm sie bei Kathleen Dineen und Ralf Ernst Unterricht in Gesang und bei Raphael Immoos in Chorleitung.
Als Kammermusikerin ist Giovanna Baviera regelmässig mit Ensembles wie Profeti della Quinta, Daedalus und Novantik unterwegs. Ihre Konzerttätigkeit führt sie zu verschiedenen Festivals, Konzertsälen und Theatern Europas. Sie ist Gründungsmitglied des Ensembles Concerto di Margherita.
1602 veröffentlicht der Sänger-Komponist Giulio Caccini (1551–1618) in Florenz seine Sammlung mit dem emphatischen Titel Nuove musiche. Er hatte zusammen mit Jacopo Peri 1600 die erste erhaltene Oper, Euridice, geschrieben. In den Nuove musiche finden sich hochliterarische Texte, etwa von Francesco Petrarca, die Caccini durchwegs einstimmig vertonte. Diese Musik (Monodie) war nicht als «Gesang», sondern als Recitar cantando – also als singende Rezitation – gedacht.
In den Fussstapfen von Vater Giulio folgte ihm seine Tochter Francesca Caccini (1587–1641), bewunderte und hochbezahlte Sängerin und Instrumentalistin, aber auch Komponistin von La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina, der ersten erhaltenen Oper einer Komponistin. Leider gingen zahlreiche ihrer Werke, auch Bühnenwerke, verloren.
Sigismondo d’India (ca. 1582–1629) wurde vermutlich in Sizilien geboren und in Neapel ausgebildet. Danach war er hauptsächlich und wechselnd an den Höfen von Turin und Modena, zwischendurch auch in Rom tätig. Der etwas unstete Lebensweg des Komponisten begann damit, dass d’India wegen einer drohenden Verhaftung bei Nacht und Nebel aus Turin floh. Ein ähnliches «Hin und Her» zeigen auch d’Indias Werke: Während rund 20 Jahren veröffentlichte er in regelmässigem Wechsel einerseits Bücher mit Madrigalen in der klassisch fünfstimmigen Besetzung und andererseits Bücher mit ein- und zweistimmigen Musiche sowie mit Villanelle zu drei oder vier Stimmen.
Giovanni Girolamo Kapsperger (ca. 1580–1651) wurde als Sohn des österreichischen Offiziers Wilhelm von Kapsperger vermutlich in Venedig geboren. Um 1605 zog Kapsperger nach Rom, fand Anschluss an die dortigen Komponisten und höheren Gesellschaftsschichten und erwarb sich schnell einen Ruf als brillanter Lautenist. 1611 publizierte er mit grossem Erfolg sein Libro I d‘intavolatura di lauto, dem weitere Sammlungen folgten. Zwei davon enthalten Werke, auch Tänze, für Instrumentalensemble, andere auch Vokalmusik. – Zu Kapsperger siehe auch Konzert Hopkinson Smith 25.09. Seite 24 ff.
Luzzasco Luzzaschi (ca. 1545–1607), in Ferrara geboren, wird auch sein ganzes Leben – als Sänger, Organist, Lehrer und Komponist – dort am Hof der d’Este verbringen. Nebst sieben Madrigalbüchern für die traditionelle Besetzung mit fünf Stimmen komponierte Luzzaschi für die hochvirtuosen Sängerinnen am Hof sein Madrigalbuch von 1601, Concerto delle Donne. Madrigali per cantare et sonare a 1, 2, 3 soprani. Ausserdem war Luzzaschi ein virtuoser Cembalist; seine Cembalomusik ist jedoch teilweise verloren.
Ein Schüler Luzzaschis war der ebenfalls aus Ferrara stammende Girolamo Frescobaldi (1583–1643), der später hauptsächlich am Petersdom in Rom als Organist tätig war. Bewundert für seine Virtuosität, veröffentlichte er hauptsächlich Musik für Tasteninstrumente (Ricercari, Canzone und Toccate); berühmt wurde vor allem der Band Fiori musicali (1635).
Giaches (Jacques/Jaches) de Wert (1535–1596), in Flandern geboren, gelangt schon früh nach Italien und wird 1565 Maestro di cappella an der Kirche Santa Barbara in Mantua. Hier bleibt er bis zu seinem Tod – allerdings nicht immer unter glücklichen Umständen: Seine Frau Lucrezia beginnt eine Liaison mit einem anderen Musiker, lässt sich in eine politische Intrige verwickeln und stirbt im Gefängnis.
Sehr erfolgreich ist de Wert als Komponist: Ab 1558 veröffentlicht er in regelmässiger Folge seine Sammlungen mit Madrigalen und anderen Musikgenres. Obwohl er in Mantua mittlerweile auch Leiter der weltlichen Musik ist, lockt der Hof von Ferrara mit seinem berühmten Concerto delle Donne (oder Dame). Dort kommt de Wert in Kontakt mit dem Dichter Torquato Tasso, aber auch mit der Hofdame Tarquinia Molza. Beides hat seine Folgen: De Wert vertont als einer der ersten Texte von Tasso (Ottavo libro de madrigali 1586); die nicht standesgemässe Liaison mit Tarquinia hingegen wird zum Skandal.
Weil de Wert in Mantuas feucht-heissem Klima immer wieder an Malaria erkrankt, wird für ihn an Santa Barbara 1588 ein Nachfolger ernannt: Giovanni Giacomo Gastoldi (ca. 1554–1609). Dieser ist heute vor allem für seine leichtfüssigen Frottole und Balletti bekannt; sein vielfältiges Werk umfasst aber auch Madrigale und geistliche Kompositionen.
Nach de Werts Tod 1596 macht sich der noch junge Hofmusiker Claudio Monteverdi (1567–1643) Hoffnungen auf seine Nachfolge als Hofkapellmeister; er wird jedoch vorerst übergangen und erhält das Amt erst 1601. In seinem Dritten Madrigalbuch zeigt sich auch Monteverdi vom Gesangsstil der drei Damen von Ferrara beeinflusst.