Sa 09.03.

19.30h Johanneskirche

Zu Gast im Zimmermannschen Caffée-Haus (I)

Bach spielt auf

Ensemble der J.S. Bach-Stiftung St. Gallen

Éva Borhi Konzertmeisterin & Violine 1
Péter Barczi Violine 2
Martina Bischof Viola
Maya Amrein Violoncello
Markus Bernhard Violone
Tomoko Mukoyama Traversflöte

Rudolf Lutz Leitung & Cembalo


Kaffeekantate BWV 211
Marie Luise Werneburg Liesgen, Sopran
Raphael Höhn Erzähler, Tenor
Dominik Wörner Schlendrian, Bass

bachstiftung.ch


Rudolf Lutz (*1951)

  • Concerto in A-Dur für Streichinstrumente
    Allegro moderato – Adagio – Allegro

Johann Sebastian Bach (1685–1750)

  • Suite Nr. 2 h-Moll BWV 1067
    Ouverture – Rondeau – Sarabande – Bourées I & II – Polonaise &
    Double – Menuet – Badinerie

— Pause —
.

  • Triosonate G-Dur für Flöte, Violine und B.c. BWV 1038
    Largo – Vivace – Adagio – Presto
  • Kaffee-Kantate: Schweigt stille, plaudert nicht. BWV 211
    Recitativo: Schweigt stille
    Aria: Hat man nicht mit seinen Kindern
    Rec.: Du böses Kind
    Aria: Ei! Wie schmeckt der Coffee süsse
    Rec.: Wenn Du mir nicht den Coffee lässt
    Aria: Mädchen, die von harten Sinnen
    Rec.: Nun folge, was dein Vater spricht
    Aria: Heute noch
    Rec.: Nun geht und sucht der alte Schlendrian
    Chorus: Die Katze lässt das Mausen nicht

Zum zweiten Mal erscheint in einem Programm des Festivals Alte Musik Zürich eine Komposition von Rudolf Lutz: sein Concerto in A-Dur. Dazu schreibt der Komponist:
Das Werk entstand im Frühjahr 2020 im Kontext des geplanten Konzerts Bachs Jahr für das Festival Tageszeiten – Jahreszeiten des Forums Alte Musik Zürich. Bachs Jahr war ein Gemeinschaftswerk mit Arthur Godel, der das Konzert konzipierte. (Das Festival fand wegen Corona schliesslich erst 2022 statt.)
Das Concerto in A-Dur ist ein Werk in drei Sätzen, die jeweils eine Station des damaligen Konzerts beleuchten und auslegen.
1. Satz: Allegro moderato – Frühlingshaft mit dem Motto Florens Lust (ein Stichwort aus der Hochzeitskantate Weichet nur, betrübte Schatten BWV 202). Ein munteres Treiben der schmetterlingshaften Motive mit viel Abwechslung von Tutti- und Solopassagen. Es könnte auch ein Paradiesgarten sein, mit Maria in den Erdbeeren – in meiner Erinnerung war es sogar Maria mit dem Erdbeeren pflückenden Kind.
2. Satz: Adagio – Schmerzerfülltes Lamento mit dem dreimaligen Zitat des Adventsliedes Nun komm der Heiden Heiland. Mein Bild: Die Engel im Himmel erfahren, dass Gottvater seinen Sohn (heiss geliebter Spielkamerad der Engel) auf die Erde senden will. Dieser Entscheid erfüllt sie mit grosser Traurigkeit.
3. Satz: Allegro – Triumphierend, österlich; es erscheint ein Doppelmotiv aus meiner Lutherkantate Von der Freiheit des Christenmenschen (2017). Wie in einem italienischen Concerto wiederum mit häufigem Wechsel von Soli und Tutti.
***
Wann Johann Sebastian Bach (1685–1750) seine vier Orchestersuiten geschrieben hat, ist bis heute umstritten – ob schon in oder sogar vor seiner Zeit in Köthen, oder doch erst in Leipzig …? Die Frage stellt sich, weil von ihnen keine authentischen Partituren, sondern nur Einzelstimmen überliefert sind, die teils von Bach, teils von anderer Hand stammen. Die Suite in h-Moll BWV 1067 geniesst immerhin die Anerkennung, dass die Stimmen aus den Jahren 1738/39 stammen könnten und somit wohl in direktem Zusammenhang mit Bachs Konzerten im Zimmermannschen Caffée-Haus stehen. Bach scheint dafür ein älteres Werk – vermutlich nur für Streichinstrumente und in der Tonart a-Moll – zur heutigen Fassung mit Soloflöte umgearbeitet zu haben, so wie er ja auch mehrere ältere Werke zu Cembalokonzerten umarbeitete.
«Soloflöte» trifft die Sache allerdings nicht immer: In manchen Sätzen spielt sie nämlich (fast) durchwegs colla parte mit der ersten Violine. Eine reine Begleitung ist das allerdings auch nicht, denn so entstehen ganz neuartige Klangfarben. Eine eigentliche Solostimme hat die Flöte dann in der Polonaise und vor allem in der abschliessenden, spielerischen Badinerie. So darf man annehmen, dass dies eine Originalkomposition Bachs für das Instrument ist.
Was nun andererseits für die Triosonate G-Dur BWV 1038 ganz und gar nicht gilt. Immer wieder wurde die Echtheit dieses Werks für Flöte, Violine und Continuo in Frage gestellt, und das, obwohl die Stimmen in einer Abschrift von Bach selbst vorliegen. Anstoss zu diesen Zweifeln gibt der merkwürdige Umstand, dass gleich drei Werke Bachs – oder vielleicht eben nicht Bachs – auf einer grossenteils identischen Bassstimme beruhen. Diese wird nun gelegentlich als nicht sehr Bach-spezifisch und die kompositorische Struktur als nicht immer zwingend charakterisiert. (Die anderen beiden Werke sind die Violinsonaten BWV 1021 und 1022, wobei erstere als authentisch gilt.) Möglicherweise entstand die Triosonate in der «Zusammenarbeit» mit einem Schüler und gäbe dann einen Einblick in Bachs Werkstatt, aus der auch nicht immer alles perfekt herauskommen musste …
Bei seinem Tod hinterliess Bach – gemäss eines Inventars des Haushalts – nicht weniger als fünf Kaffeekannen verschiedener Grösse. Im Bachschen Haushalt wurde also nicht wenig Kaffee getrunken. Was soll denn da die Kaffee-Kantate BWV 211, in der Vater Schlendrian gegenüber seiner Tochter Liesgen ein Kaffeeverbot durchsetzen will?
Tatsächlich wurde noch 1733 in Leipzig eine Warnschrift gegen das allzu ausgiebige Kaffeetrinken veröffentlicht: De potus cofe abusu noxio. Doch das kam damals vermutlich etwa einer heutigen Warnschrift gegen die allzu ausgiebige Nutzung des Mobiltelefons gleich … Eher war Bachs Kantate also humoristisch-satirisch gemeint und nicht als zeitkritische Moralpredigt. Das zeigt sich schon in den Anfangstakten, wenn Herr Schlendrian zu polternder Musik hereingetrampelt kommt.
Und wieso eigentlich Herr Schlendrian? Ist es in diesem Haushalt neben dem Kaffeetrinken vielleicht auch mit anderem nicht zum Besten bestellt? Auffällig ist zumindest, dass das clevere Liesgen sich letztlich doppelt durchsetzt: Sie muss nicht nur auf den Kaffee nicht verzichten, sie ist auch zu einem Ehemann gekommen. Ging es ihr – Ach, ein Mann, ach ach, ein Mann! – eigentlich vor allem darum? Jedenfalls scheint die sehnsüchtig-sinnliche Melodik, die Bach ihrer Arie Heute noch gibt, von mehr als nur der Lust am Kaffeetrinken zu sprechen …