So 22.09.

17.00h Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13

El Cant de la Sibil•la
Draumkvedet – Traumlied

Hirundo Maris

Arianna Savall Gesang, Gotische Harfe, Lyra
Petter Udland Johansen Gesang, Hardangerfiedel, Renaissancefiedel
Ian Harrison Pfeiffen, Dudelsack, Cornetto, Schalmei
Sveinung Lilleheier Dobro d’amore
Miquel Angel Cordero Bassfiedel, Violone
David Mayoral Perkussion, Santur

Orlando di Lasso:
Prophetiae Sibyllarum

Ensemble thélème

Doron Schleifer Superius
Julien Freymuth Haute-contre
Ivo Haun Tenor
Jean-Christophe Groffe Bassus und Leitung
Ziv Braha Laute

hirundomaris.com
ariannasavall.com
theleme.ch

Von Samstag, 21.09. bis Sonntag, 29.09. findet in Zürich die Rad-WM statt. Deshalb ist die Johanneskirche (Limmatstrasse 112, 8005 Zürich) oder das Kulturhaus Helferei (Kirchgasse 13, 8001 Zürich) zwar immer, aber etwas eingeschränkt zugänglich. Zwischen Central und Bellevue fahren keine Trams, ebenfalls nicht zwischen Central und Heimplatz (Schauspielhaus). Zu Fuss sind die Konzertorte immer erreichbar. Rechnen Sie aber mit etwas mehr zeitlichem Aufwand als normal.

Wir freuen uns, Sie zu sehen!


 
  • El Cant de la Sibil•la de Barcelona
    Al jorn del iudici …
  • Draumkvedet – Traumlied I–IV
    Teil I: Wenn du mir lauschen willst …
    Teil II: Ich legte mich an Heiligabend nieder …
    Teil III: Bei der ersten Ausfahrt …
    Teil IV: So kam ich zu den Gewässern …

Tomás Luis de Victoria (1548–1611)

  • O magnum mysterium
    Cantus: Diminutionen von Ivo Haun nach Giovanni Battista Bovicelli

Alfonso Ferrabosco (1543–1588)

  • Fantasia

Orlando di Lasso (1532–1594)

  • Prophetiae Sibyllarum
    Prolog: Carmina chromatico … tenore modulata
    I. Sibylla Persica: Virgine matre satus
    II. Sibylla Libyca: Ecce dies venient
    III. Sibylla Delphica: Non tarde veniet
    IV. Sibylla Cimmeria: In teneris annis
    V. Sibylla Samia: Ecce dies nigras
    VI. Sibylla Cumana: Iam mea certa manent

Alfonso Ferrabosco

  • Pavan

Orlando di Lasso

  • Prophetiae Sibyllarum
    VII. Sibylla Hellespontica: Dum meditor quondam
    VIII. Sibylla Phrygia: Ipsa Deum vidi
    IX. Sibylla Europaea: Virginis aeternum veniet
    X. Sibylla Tiburtina: Verax ipse Deus
    XI. Sibylla Erythraea: Cerno Dei natum
    XII. Sibylla Agrippa: Summus erit sub carne satus

Gregorio Huet (vor 1550–ca. 1616)

  • Fantasia

Tomás Luis de Victoria

  • Magi viderunt stellam
 
  • Draumkvedet – Traumlied V–VIII
    Teil V: Ich war in den Goldwelten …
    Teil VI: Ich sah mich um nach dem Jüngling …
    Teil VII: Glücklich ist der in der Welt …
    Teil VIII: Alte Männer und junge …
  • El Cant de la Sibil•la de Girona
    Al jorn del iudici …

Dies irae, dies illa
Solvet saeclum in favilla
Teste David cum Sibilla.
Der Tag des Zorns, jener Tag
löst die Welt(-Zeit) in Asche
gemäss dem Zeugnis Davids und der Sibylle.
…. gemäss dem Zeugnis Davids und der Sibylle. Dass mit David der alttestamentliche König gemeint ist, scheint klar. Wer aber ist diese Sibylle, die in den Anfangszeilen des mittelalterlichen Hymnus Dies irae genannt wird? Mit David zusammen soll sie bezeugen, dass dereinst mit der Wiederkunft Christi die Welt ein Ende finden und die Menschheit am Tag des Zorns in einem «Jüngsten Gericht» gerichtet wird.
Die Sibyllen waren ursprünglich wohl im Nahen Osten anzutreffen. Es waren weise Frauen oder Prophetinnen, die meist mit einem Heiligtum verbunden waren und zu aktuellen Problemen befragt werden konnten. Ihre Antwort gaben sie im Zustand der Ekstase und in meist rätselhaften Formulierungen, die gedeutet werden mussten. Berühmt wurden die Sibyllen der Antike, so diejenige im Tempel von Delphi – mit einem Felsen der Sibylle – oder im römischen Cumae (bei Neapel) mit einer Sibyllengrotte. Anfänglich war nur eine Sibylle bekannt, die Sibylla Erythraea, später waren es dann drei. Allmählich stieg ihre Zahl jedoch auf zehn und schliesslich auf zwölf, alle mit ihrem Namen einem bestimmten Ort oder Land zugeordnet, von der Sibylla Persica bis zur Sibylla Europaea.
Auch im Judentum und frühen Christentum beschäftigte man sich mit den sibyllinischen Weissagungen, den Oracula Sibyllina. Durch den Kirchenvater Augustinus, der in seinem Buch De civitate Dei (Der Gottesstaat) eine Prophezeiung der Sibylle von Erythrai erwähnt, gelangte die Sibylle schliesslich wohl auch in das Dies irae. Der ursprünglich griechische, dann lateinische Text der Prophezeiung der Sibylle wurde Teil der Lesungen in der Matutin am Weihnachtstag. Er schildert aber nicht etwa das Weihnachtsgeschehen, sondern den apokalyptischen Tag des Jüngsten Gerichts; die Geburt des Erlösers wurde so mit der Prophezeiung seiner Wiederkehr verbunden. Im 11. Jahrhundert entstanden erste musikalische, einstimmig-gregorianische Versionen.
Eine besondere und lange Blüte erlebten diese Prophezeiungen mehrere Jahrhunderte später in Spanien, als El Cant de la Sibil•la (Der Gesang der Sibylle). Der Text wurde ab dem 13. Jahrhundert nun auch in der Volkssprache, vor allem in Katalanisch gesungen, die einfache Gesangsmelodie wurde immer stärker ausgearbeitet und verziert, und die Chorrefrains wurden zum Teil mehrstimmig gesetzt. Die älteste dieser ausgearbeiteten Fassungen entstand im frühen 15. Jahrhundert in Barcelona, die jüngste wurde 1550 in Girona aufgeschrieben – gerade bevor das Konzil von Trient den Gesang der Sibylle 1563 wieder aus dem Gottesdienst entfernte. Nebst diesen beiden Fassungen – die im Konzert zu hören sind – entstanden auch Gesänge in Galizisch, Kastilisch oder Mallorquin; auf Mallorca wird El Cant de la Sibil•la bis heute am Weihnachtsabend aufgeführt.*
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Arianna Savall und Petter Udland Johansen stellen im Konzert dieser Vision der Endzeit eine Vision des Jenseits gegenüber: die norwegische Ballade Draumkvedet (Traumlied) aus dem Mittelalter. Ein junger Mann namens Olav Åsteson fällt am Weihnachtsabend in Schlaf und erwacht erst wieder an Epiphanie, also zwölf Tage später. Seine Traumerlebnisse in diesen zwölf Tagen sind der Inhalt des Traumlieds, das im Konzert mit 52 Strophen erzählt wird: Olav Åsteson durchwandert die Unterwelt, unwirtliche Landschaften, die von furchterregenden Tieren bevölkert ist; dort wird den Verstorbenen je nach Lebenswandel ihre Strafe oder Belohnung im Paradies zugeteilt. Der Text wurde von Petter Udland Johansen unter Verwendung von alten norwegischen Volksmelodien und in eigenen Kompositionen neu vertont.
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Eine neue Art der Darstellung erfuhren die Sibyllen in der Kunst und Musik des 16. Jahrhunderts, so etwa in Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle, wo sie zusammen mit alttestamentlichen Propheten dargestellt sind. Als Gegenstück dazu könnte man die Prophetiae Sibyllarum von Orlando di Lasso (1532–1594) sehen.
Lasso komponierte diesen Werkzyklus zwischen 1556 und 1559, in einem für ihn entscheidenden Lebensabschnitt. 1556 fanden die vorausgehenden unruhigen Wanderjahre des noch jungen Komponisten zwischen Nordeuropa und Italien ein Ende: Lasso liess sich am Münchner Hof anstellen, wo er dann schliesslich sein ganzes weiteres Leben bleiben sollte – trotz lukrativen Angeboten des französischen Königs. Die Prophetiae Sibyllarum wurden nicht gedruckt, sondern in einer mit Miniaturen verzierten Handschrift als Geschenk dem neuen Arbeitgeber Herzog Albrecht überreicht. (Als sie nach Lassos Tod dann doch im Druck erschienen, enthielt dieser bezeichnenderweise auch die Lectiones sacrae auf Texte aus dem Buch des Propheten Hiob.)
Von den spanischen Sibyllen-Gesängen unterscheiden sich diejenigen Lassos völlig. Erstere gehören dem Mittelalter an, jene Lassos der Musik der Renaissance. Sie sind als 12 vierstimmige Motetten in einer durchwegs chromatischen, harmonisch stets changierenden Sprache komponiert, wobei je zwei von ihnen ein Paar bilden. Ihnen voraus geht ein Prolog – vielleicht von Lasso selbst –, der mit mehreren unerwarteten harmonischen Wendungen und einem verblüffenden Tonsprung beim Wort chromatico die aussergewöhnliche Tonsprache dieses Werks ankündigt.
Die 12 Motetten selbst sind zwar etwas moderater gehalten; stets evozieren sie aber eine Sphäre des Geheimnisvollen, des Ungewöhnlichen und nicht ganz Verständlichen. Damit entsprechen sie auch der Aussage des Textes, der – anders als die spanischen Sibyllen – nicht von einem Weltende in Angst und Schrecken handelt. Vielmehr sagen die zwölf Sibyllen in immer wieder neuen Varianten das Weihnachtsgeschehen voraus, die mysteriöse Geburt des Erlösers und Friedensfürsten durch eine Jungfrau. Dabei ist die Aussage des Textes dem Komponisten offensichtlich wichtig, denn so harmonisch reich die Musik auch ist, so sprachbezogen bleibt die Vertonung: Oft folgt ihr Duktus in einem vereinfachten Parlando-Stil den Wortakzenten und lässt wichtige Schlüsselworte deutlich hervortreten, so etwa im Prolog cecinerunt (sie sangen) mit der einzigen Wortwiederholung in diesem Stück.
Lassos Prophetiae werden durch zwei Weihnachtsmotetten seines spanischen Zeitgenossen Tomás Luis de Victoria (1548–1611) «eingerahmt». War bei Lasso die Geburt des Erlösers noch Prophezeiung, so ist sie bei Victoria nun Wirklichkeit geworden – allerdings in spezieller Darstellung: Der oft vertonte Text O magnum mysterium schildert, dass der Erlöser als Erstes von den Tieren im Stall (Ochs und Esel) erblickt wird**; das Thema von Magi viderunt stellam sind die drei heidnischen Magier (oder Könige) an der Krippe, die dem Kind Gold, Weihrauch und Myrrhe schenken. Ganz unterschiedlich ist denn auch die Tonsprache der beiden Komponisten: diejenige Lassos harmonisch farbig und aufgewühlt, diejenige Victorias harmonisch hell und freudig.

* Mehrere dieser Versionen existieren in Aufnahmen von Jordi Savall und Montserrat Figueras.

** Siehe hier.