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Sa 18.09.

19.30h St. Anna-Kapelle

Musikkünste – Kochkünste II

Delikatessen aus Mittelalter und Renaissance

Ensemble DRAGMA

Agnieszka Budzińska-Bennett Gesang und Harfe
Grace Newcombe Gesang und Harfe
Jane Achtman Vihuela d’arco und Viola da gamba
Marc Lewon Laute, Vihuela d’arco, Renaissancegitarre und Gesang

www.dragma.ch


Bon vin — Frankreich 13.–15. Jh.

Anonym

  • On parole / A Paris / FRESE NOUVELE
    Codex Montpellier, 13. Jh.

Anonym

  • Quant je le voi / Bon vin doit / CIS CHANT VEULT BOIRE
    Roman de Fauvel, 14. Jh.

Anonym

  • Chançonette / Ainc voir / A la cheminee / PAR VERITÉ
    Codex Montpellier, 13. Jh.

Guillaume Dufay (1397–1474)

  • Adieu ces bons vins de Lannoys

 

Sapori italiani — Italien 14.–15. Jh.

Anonym

  • De mia farina fo le mie lasagne

Anonym

  • Deh tristo mi topinello

Antonio Zachara da Teramo (ca. 1350/60–1416)

  • Cacciando per gustar / Ay cinci y troppi

Anonym

  • Rostiboli gioioso
  • Pan de miglio caldo

 

Ain Gefress (und dessen Folgen) — Deutschland/Österreich 15. Jh.

Oswald von Wolkenstein (1377–1445)

  • So trinken wir alle)
  • Wol auff wir wellen slaffen

Michel Beheim (1416–ca. 1472)

  • Ain gefress

 

Vamos a cenar — Spanien 15.–16. Jh.

Diego Ortiz (ca. 1510–ca. 1576)

  • Recercada Primera

Jacobus de Milarte (16. Jh.)

  • Vamos a cenar

Juan del Encina (1468–1529)

  • Oy comamos y bebamos

Anonym

  • La Tricotea

In der Musik von Spätmittelalter und Renaissance ist Essen und Trinken immer wieder ein Thema: das vielfältige Marktangebot, die Speisen einer reichhaltigen Tafel, guter Wein oder dessen Fehlen, ausgelassenes Beisammensein (und dessen Folgen) – das alles wird in der Musik aufgegriffen. Die Vielfalt des Essens wird aber auch in diversen Kochbüchern der Zeit überliefert. Und so bietet das Konzert von Dragma denn auch nicht «nur» Musik, die Köchin Eveline Gurtner Haussener reicht dazu auch einige passende Leckerbissen nach historischen Rezepten.
Quellen, Genres, Stile, Komponisten

Frankreich 13.–15. Jh.

Für ein Publikum von heute mag die mehrstimmige Musik des Mittelalters manchmal etwas verwirrend sein, vor allem die Motette. 300 Motetten enthält der Codex Montpellier – eine Handschrift, die um 1300 höchstwahrscheinlich in Paris entstand – im mehrstimmigen Stil der mittelalterlichen Ars nova. Die Motetten sind zwei-, drei- und vierstimmig, manche mit geistlichen, manche mit weltlichen Themen. Das Verwirrende ist nun, dass jede Stimme einen eigenen Text singt. Wie soll man ihnen da folgen? Muss man annehmen, dass das Publikum von damals die Texte im Voraus studieren konnte?
Bei der Lektüre der Texte geht man am besten von der untersten Stimme, dem Tenor, aus. Er bildet das Fundament und gibt das Thema des Stücks vor: beispielsweise das aktuelle Marktangebot von frischen Erd- und Maulbeeren oder das Lob eines edlen Weins. Der Tenor enthält nur wenige Worte (in den Titeln der Stücke jeweils in Grossbuchstaben angegeben) und bewegt sich rhythmisch in gemessenem Tempo. Die textreicheren und schnellen Oberstimmen (Motetus/Duplum und Triplum) beziehen sich in Varianten inhaltlich auf das gleiche Thema – gern wird auch die Gesellschaft von Damen als angenehmer Begleitumstand erwähnt. – Das Gleiche gilt auch für die Motetten im etwas späteren Roman de Fauvel, einer satirischen Verserzählung über die Dummheit der Welt, in der es ausgerechnet der Esel (Fauvel) am weitesten bringt …
Komponisten der Frührenaissance – wie der europaweit aktive Guillaume Dufay (1397–1474) – führten diese musikalische und textliche «Mehrstimmigkeit» in ihren (geistlichen) Motetten vorerst weiter. Ihre ebenfalls mehrstimmigen Chansons dagegen enthalten nur einen (einzigen) Text. Meist handelt er von Liebesleid, aber, wie das Beispiel von Dufay zeigt, auch von anderem Ungemach: In Adieu ces bons vins de Lannoys beklagt der Komponist seinen Abschied von Laon, wo er nicht nur Freunde und Damen, sondern auch gute Weine zurücklassen muss. Dufay wusste wohl, wovon er sprach, denn in seinem Amt an der Kathedrale von Cambrai war er auch für das Office du four et vin zuständig, also für den Einkauf von Mehl und Wein.

Italien 14.–15. Jh.

Ein etwas älterer Zeitgenosse Dufays war Antonio Zachara da Teramo (ca. 1350/60–1416), renommierter Sänger, Komponist und Sekretär der Päpste in Rom – und für einige Zeit auch des Gegenpapstes (!) in Bologna. Ein Porträt zeigt ihn – auffällig genug – mit nur vier Fingern pro Hand … Zachara komponierte im mehrstimmigen Stil des Trecento. Charakteristisch für die italienische Musik dieser Zeit ist Cacciando per gustar/Ay cinci y troppi, eine dreistimmige, doppeltextierte Caccia. Die beiden Oberstimmen mit dem Text Cacciando per gustar bilden einen Kanon (Caccia), wozu die dritte Stimme Ay cinci y troppi das Fundament liefert. Das Stück evoziert so plastisch das bunte Treiben und das vielfältige kulinarische Angebot eines italienischen Marktes.
Neben der mehrstimmigen Musik erblüht etwas später in Italien auch ein einfacheres, volksmusiknahes Genre, die Frottola, die sich häufig im Kontext des Florentiner Karnevals findet. Ihre an der Oberfläche anscheinend «harmlosen» Texte weisen oft eine Portion Doppeldeutigkeit auf. So stellt sich etwa zu Recht die Frage, ob das Stück De mia farina fo le mie lasagne wirklich von der Herstellung einer Lasagne handelt …

Deutschland/Österreich 15. Jh.

Die deutschsprachigen Autoren-Komponisten bevorzugten in ihren einschlägigen Liedern nicht die Doppel-, sondern die Eindeutigkeit; zumindest bei den Werken des Konzerts geht es eher derb zu und her. In Ain gefress von Michel Beheim (1416–ca. 1472) steigern sich siben gesellen gut in die geradezu breughelsche Fantasie einer Fress- und Sauforgie: kaum etwas an Tieren, Pflanzen und Getränken auf dieser Welt, was nicht verschlungen (und dann auch wieder ausgeschieden) werden könnte; ein fraulin im Bett und ein Bad am andern Morgen wäre auch ganz willkommen … Etwas scheinheilig endet das Lied im letzten Moment mit einer Wendung ins Moralische.
Beheim war ein «Literat», der sich als Berufsdichter in den Dienst immer wieder anderer Adeliger stellte, für die er zahlreiche aktuelle Lieder und Reimchroniken schrieb. Aufgrund der politischen Entwicklungen (und auch im Versuch, diesen auszuweichen) kam Beheim von Baden-Württemberg bis nach Wien, Brandenburg und Skandinavien.
Ähnlich unstet verlief auch das Leben des etwas älteren Oswald von Wolkenstein (1377–1445). Anders als Beheim stand Oswald als Ritter allerdings auf der untersten Stufe der Adelspyramide und mischte zumindest in der damaligen Lokalpolitik des heutigen Südtirols aktiv mit. Als Verfasser und Komponist zahlreicher einstimmiger Lieder – die er zu zwei Manuskripten zusammenstellen liess – schrieb Oswald in der Tradition des deutschen Minnesanges, den er thematisch erweiterte und zu einer letzten Blüte führte. Das Lied Wol auff wir wellen slaffen zeigt ihn von seiner satirischen Seite: eine betrunkene Gesellschaft findet den Weg ins Bett nur sehr mühsam …
Fünfzig Jahre später hat das deutsch(sprachig)e Lied auch seinen Platz im Repertoire der mehrstimmigen Renaissancemusik. Vor allem der in München tätige Ludwig Senfl (ca. 1486–1542/43) schuf zahlreiche Kompositionen (Tenorlieder mit der Gesangsmelodie in der Tenorstimme), die sich zwischen volksmusiknahem Ton und kunstvollem Stil bewegen.

Spanien 15.–16. Jh.

In Spanien florierte ab 1500 ein ganz eigenes Genre, der Villancico, dessen erster Meister Juan del Encina (1468–1529) war. Obwohl aus einfachen Verhältnissen stammend – sein Vater war Schuhmacher –, konnte Encina ein Jus-Studium absolvieren und danach eine Anstellung am Hof des Herzogs Alba erreichen. Allerdings scheint ihm Musik und Literatur wichtiger gewesen zu sein als ein Verwaltungsposten: Er tritt bald als Autor von Theaterstücken und als Komponist hervor. Mehrere Reisen nach Rom verschaffen ihm die Gunst der Päpste und schliesslich auch die von ihm angestrebten kirchenmusikalischen Ämter in Spanien; er stirbt als Prior der Kathedrale von Leon.
Als Person bleibt Encina etwas ein Rätsel: So lässt er sich in Rom zum Priester ausbilden, unternimmt eine Reise ins Heilige Land und feiert seine erste Messe in Jerusalem; andererseits aber scheint er kein einziges religiöses Werk geschrieben zu haben. Seine Domäne ist vielmehr der (weltliche) Villancico; zahlreiche davon aus seiner Feder – wie auch von anderen Komponisten – sind im Cancionero de Palacio und im Cancionero de Segovia überliefert. Der Villancico ist das spanische Gegenstück zur italienischen Frottola, die Encina in Italien kennengelernt haben wird: Beides sind drei- oder vierstimmige Vertonungen von Strophengedichten in einem meist akkordischen und volksmusiknahen Stil, aufführbar in jeder «beliebigen» Besetzung. Das Spektrum der Themen erstreckt sich von amourösen und pastoralen Sujets bis hin zu Komik und Satire.
Ganz speziell in diesem Repertoire ist das anonym überlieferte Stück La Tricotea. Es bezieht sich auf eine französische Vorlage, La Triquotée, und auf die Festivitäten am Namenstag von St. Martin. Der Autor leistete sich dabei den Jux, den französischen Text einfach dem Klang nach ins Spanische (bzw. «Spanische») zu übersetzen – ungefähr so wie beim altbekannten «lateinischen» Dicurrante bissifil aufirorum

Ensemble DRAGMA und Eveline Gurtner Haussener/Essen macht Freu(n)de werden unterstützt von: