Sa 13.09.

17.15h Französische Kirche, Schanzengasse 25

Heinrich Ignaz Franz Biber:
Die Mysteriensonaten


17.15h Erster Teil

  • Konzertgespräch – Der freudenreiche Rosenkranz

18.15h

  • Apéro

19.15h Zweiter Teil

  • Der schmerzensreiche Rosenkranz – Der glorreiche Rosenkranz

Monika Baer Violine
Plamena Nikitassova Violine
Leila Schayegh Violine
Chouchane Siranossian Violine
Renate Steinmann Violine

Daniele Caminiti Theorbe
Markus Bernhard Violone
Giorgio Paronuzzi Cembalo

I. Der freudenreiche Rosenkranz – Die fünf freudenreichen Mysterien

Sonata I: Mariae Verkündigung (d-Moll)
Praeludium – Variatio – Aria allegro – Variatio – Adagio – Finale
Der Erzengel Gabriel erscheint Maria; schnelle Zweiunddreissigstel-Kaskaden schildern das Rauschen seiner Flügel. Das Rauschen wird unterbrochen durch zwei kurze Abschnitte, in denen der Engel seine Botschaft verkündigt: Fürchte dich nicht, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. – Am Schluss der Sonate erklingt dreimal die Terz d–b in drei Oktaven: eine Anspielung auf die Trinität Gottes?
Sonata II: Marias Besuch bei Elisabeth (A-Dur)
Sonata – Presto – Allamanda – Presto
So dunkel und mystisch die erste Sonate, so hell und freundlich die zweite; sie schildert den Besuch der schwangeren Maria bei ihrer ebenfalls schwangeren Verwandten Elisabeth. Im abschliessenden Presto spielt die Geige eine Kette von zwischen den Saiten virtuos hin und her hüpfenden Sechzehnteln – beim Gruss Marias sei Elisabeths Kind vor Freude im Bauch gehüpft, heisst es im Lukas-Evangelium.
Sonata III: Christi Geburt, Anbetung der Hirten (h-Moll)
Sonata – Presto – Adagio – Courente – Double – Adagio
Die Weihnachtssonate ist auffallend melancholisch. Deutet Biber die Ärmlichkeit der Krippe an oder verweist er schon auf das zukünftige Schicksal des Neugeborenen? Ein unvermitteltes Presto in der Sonata könnte das Erscheinen der Engel bei den Hirten bedeuten.
Sonata IV: Christi Darstellung im Tempel (d-Moll)
Ciacona (mit 12 Variationen)
Der wenige Wochen alte Jesus wird im Tempel geweiht. Bei dessen Anblick stimmt der greise Simeon seinen Lobgesang an: Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben den Heiland gesehen. – Der Zusammenhang zwischen diesen Geschehnissen und den Variationen der Ciacona bleibt mysteriös.
Sonata V: Der zwölfjährige Jesus im Tempel (A-Dur)
Praeludium – Presto – Allamanda – Gigue – Sarabanda – Double
Auf dem Heimweg vom Tempel bemerken die Eltern, dass ihr Sohn fehlt, und finden ihn im Tempel, wo er mit den Schriftgelehrten debattiert. Das hektische Presto des Praeludiums könnte sich auf den Schrecken der Eltern beziehen, als sie das Fehlen ihres Sohnes bemerken.

II. Der schmerzensreiche Rosenkranz – Die fünf schmerzensreichen Mysterien

Sonata VI: Christus am Ölberg (c-Moll)
Lamento – Adagio – Presto – Adagio I–III
Ein düsteres, graues c-Moll charakterisiert die Sonate. Die 1. und 3. sowie die 2. und 4. Saite sind jeweils im Abstand einer grossen Septime gestimmt, was einen gespannten Klang erzeugt. Die Sonate schildert die Angst und Zerrissenheit Jesu vor seiner Verhaftung. In den letzten 13 Takten ist vielleicht das Fallen der Schweisstropfen zu hören.
Sonata VII: Die Geisselung (F-Dur)
Allamanda – Variatio – Sarabanda – Variatio
Die Sarabanda evoziert mit heftigen Akzenten drastisch die Peitschenschläge bei der Geisselung Jesu, die stille Variatio vielleicht dessen Ohnmacht.
Sonata VIII: Die Dornenkrönung (B-Dur)
Sonata. Adagio – Presto – Gigue – Double I. Presto – Double II
Nach dem schwermütigen Adagio des Anfangs kann man in der betont leichtfüssigen Gigue den Spott der Soldaten hören, bis sich die Musik im Presto schliesslich zu einem grotesken Tanz steigert.
Sonata IX: Die Kreuztragung (a-Moll)
Sonata – Courente – Double – Finale
Die Sonate beginnt mit schweren schleppenden Schritten; danach stellen zarte Zweiunddreissigstel möglicherweise das Fallen von Tränen dar – Tränen des Mitleids der Frauen am Wegrand? Verschiedentlich hellt sich das Moll der Sonate rätselhaft nach Dur auf und klingt sogar an das Ende der Weihnachtssonate an (die ihrerseits in Moll stand).
Sonata X: Die Kreuzigung (g-Moll)
Praeludium – Aria (mit 5 Variationen)
Eine Sonate mit barocker Symbolsprache wie auch mit drastischen Schilderungen. Der erste Takt zeichnet ein musikalisches Kreuzmotiv: das g stellt das Standbein des Kreuzes dar, die Viertelnoten b und d bilden den rechten und linken Arm. Im zweiten Takt beginnen mit punktiertem Triolenrhythmus die Hammerschläge; die Adagio-Variation steht wohl für den Tod Jesu. Die vorletzte Variation schildert das Zerreissen des Tempelvorhangs, die letzte das Erdbeben.

III. Der glorreiche Rosenkranz – Die fünf glorreichen Mysterien

Sonata XI: Die Auferstehung (G-Dur)
Sonata – Choral Surrexit Christus hodie – Adagio
Die Sonate beginnt mit einem Sonnenaufgang und mit dem Glockengeläut (samt Echos) eines bereits christlich-europäischen Ostersonntags. Dann erklingt der Osterhymnus Surrexit Christus hodie (Christus ist heute auferstanden). Merkwürdigerweise sind gerade bei dieser Sonate die beiden mittleren Saiten gekreuzt, eine Anordnung, die man wohl eher bei der Kreuzigungssonate erwarten würde – es sei denn, dass Biber ausdrücklich auf den Zusammenhang von Kreuzigung und Auferstehung hinweisen wollte.
Sonata XII: Christi Himmelfahrt (C-Dur)
Intrada – Aria Tubicinum – Allamanda – Courente – Double Aria Tubicinum
Die Himmelfahrt findet mit dem Prunk von Trompetenklängen statt.
Sonata XIII: Die Entsendung des Heiligen Geistes (d-Moll)
Sonata – Gavotte – Gigue – Sarabanda
Geheimnisvoll und dunkel beginnt die Pfingstsonate, bis dann später die Violine mit virtuosen Läufen brilliert. Die Feuerzungen des Heiligen Geistes erscheinen in Staccato- und Triller-Passagen.
Sonata XIV Mariae Himmelfahrt (D-Dur)
(ohne Bezeichnung) – Grave – Adagio – Aria I – Aria II – Gigue
Die prächtigste Sonate des Zyklus: Vor allem die Aria ist ein klangliches Fest mit Pizzicato-Effekten und Tanzrhythmen. Und was bei Christi Himmelfahrt eher nur angedeutet war: Hier entschwindet Maria auch klangmalerisch im Himmel …
Sonata XV: Die Krönung Mariens (C-Dur)
Sonata – Aria (mit 3 Variationen) – Canzone – Sarabanda
Ein majestätischer Schluss: In der Canzone spiegelt ein Fugato die himmlische (und musikalische) Ordnung, eine Sarabande beschliesst die Sonate feierlich.
Passacaglia (g-Moll) Schutzengel-Sonate
(Ohne Tempoangabe) – Adagio – Allegro – Adagio
Was es mit dieser Passacaglia auf sich hat, ist ein Rätsel: Thematisch gehört sie nicht zum Rosenkranz-Zyklus, und sie ist als einziges Stück für Violine solo geschrieben (also nicht mit Basso continuo wie die Sonaten). Bedeutsam sind zwei Aspekte: Die Passacaglia hat die gleiche Stimmung wie die erste Sonate des Zyklus, und der Kupferstich, der ihr – wie den Sonaten auch – beigegeben ist, zeigt ein Kind in Begleitung eines Schutzengels; deshalb auch die Bezeichnung Schutzengel-Sonate. Eine mögliche Deutung: Der Zyklus der Geschehnisse von Weihnachten bis Himmelfahrt ist zwar vorbei, und der Mensch bleibt allein auf der Erde zurück; dennoch ist er weiterhin diesem Geschehen verbunden und steht unter göttlichem Schutz.
***
Eine Karriere mit einem etwas dubiosen Anfang: Im Sommer 1670 schickt der Bischof von Olmütz (heute Olomouc) seinen Musiker Heinrich Ignaz Franz Biber (1644–1704) nach Absam (bei Innsbruck); dieser soll dort beim berühmten Geigenbauer Jacob Stainer neue Instrumente kaufen. Doch Biber kauft für seinen Dienstherrn nicht nur keine Instrumente, sondern kehrt auch selbst – illegaler Weise – nicht mehr an dessen Hof zurück. Stattdessen sucht (und erhält) er eine Stelle beim Erzbischof von Salzburg; dieser sieht anscheinend kein Problem darin, den «entlaufenen» Musiker eines Amtsbruders anzustellen. Erst 1676 wird Biber offiziell aus seiner früheren Stellung in Olmütz entlassen; er bleibt bis an sein Lebensende in Salzburg und steigt zum Kapellmeister auf. Schliesslich wird er vom Kaiser sogar in den Adelsstand erhoben, und der Komponist darf sich Heinrich Ignaz Franz Biber von Bibern nennen.
Von heute aus gesehen ist dieser Verlauf der Musikgeschichte trotz ihres etwas dubiosen Anfangs ein Glücksfall, findet Biber in Salzburg doch künstlerisch und finanziell günstige Rahmenbedingungen. Es entstehen dort grossangelegte religiöse Vokalwerke wie die vierzigstimmige Missa salisburgensis und zwei Requiemvertonungen, zwei Opern sowie mehrere Sammlungen mit Violinwerken. Darunter sind die Harmonia artificioso-ariosa (geschrieben für Bibers Tochter, eine virtuose Violinistin), die Sonatae Violino solo 1681 und Bibers heute berühmtestes Werk, der Zyklus der Rosenkranz- oder Mysteriensonaten.
Das Rosenkranzgebet war ein Phänomen der Gegenreformation und diente der gedanklichen Vertiefung der Gläubigen in die «Geheimnisse» (Mysterien) des Glaubens. Dabei wird das Ave Maria gebetet und in dessen Mitte eines der «Geheimnisse» eingefügt. Das erste Mysterium des Freudenreichen Rosenkranzes lautet beispielsweise: Jesus, den du, o Jungfrau, vom Heiligen Geist empfangen hast. Dieser Rosenkranz gehört in die Advents- und Weihnachtszeit, während der Schmerzensreiche in der Vorosterzeit und der Glorreiche von Ostern bis Mariae Himmelfahrt gebetet wird. (Erst neueren Datums, in Bibers Zeit also unbekannt, ist ein vierter Rosenkranz für die Zeit nach Weihnachten; andererseits wird heute das Fest Mariae Krönung nicht mehr gefeiert.)
Der Salzburger Erzbischof Max Gandolph von Kuenburg ist anscheinend ein besonders eifriger Förderer des Rosenkranzgebets, wie aus Bibers (lateinischem) Vorwort hervorgeht. Der Komponist unternimmt es deshalb, die drei mal fünf Mysterien in 15 Sonaten (eigentlich Suiten) für Violine und Basso continuo umzusetzen. Er verwendet alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel der Barockzeit: die musikalischen Formen der weltlichen Musik, rhetorische Figuren, klangmalerische Effekte und vor allem die sogenannte Skordatur. Dabei werden die Saiten der Violine umgestimmt bzw. sogar gekreuzt aufgespannt; bei letzterem werden im Wirbelkasten und zwischen Steg und Saitenhalter die zwei mittleren Saiten vertauscht. Das hat manchmal eher symbolischen Charakter, in vielen Fällen aber klangliche Folgen: die Skordaturen erzeugen einen bald düsteren oder milden, bald angespannten oder strahlenden Klang. Biber hat dieses Mittel zwar nicht erfunden, aber am radikalsten verwendet: Von den insgesamt sechzehn Stücken des Zyklus stehen nur gerade das erste und das letzte in der normalen Quinten-Stimmung. Für alle anderen Sonaten verlangt Biber immer wieder andere, teilweise haarsträubend unpraktikable Verstimmungen (Reinhard Goebel). Dadurch verändert sich die Resonanz des Instruments, sodass jede Sonate ihren eigenen «Klangcharakter» erhält.
Allerdings bleibt das Werk bis heute auch von diversen musikalischen «Mysterien» oder Rätseln umgeben. Weil die Titelseite des Manuskripts verloren ist, sind weder die Entstehungszeit (vielleicht 1678?) noch Bibers eigener Titel des Zyklus bekannt. Dann die Frage nach dem Gehalt der Musik: Im Autograph, das der Erzbischof erhielt, war jeder Sonate ein Kupferstich mit der Darstellung des im Titel genannten biblischen Ereignisses vorangestellt. Daraus ergibt sich bis heute die Frage, wie sich Text, Bild und Musik zueinander verhalten. Wollte Biber den Inhalt des jeweiligen Mysteriums konkret vertonen oder diente ihm dieses nur als Anregung? Sollten die Sonaten eine Art geistliche Programmmusik, rhetorischer Ausdruck der barocken Affekte oder vielleicht ein «Gebet durch Musik» sein? Ein schönes Mysterium …