Fr 23.09.

19.30h Kirche St. Peter

on early music
Alte neue, neue alte Musik

Francesco Tristano Piano


francescotristano.com


Francesco Tristano *1981

  • Introit

Girolamo Frescobaldi (1583–1643)

  • Toccaten IV, XI, VIII

Francesco Tristano

  • Ritornello

Orlando Gibbons (1583–1625)

  • French Air, Alman, Pavan, Italian Ground, Ground

Francesco Tristano

  • Grey Light
  • Serpentina

Jan Pieterszoon (1562–1621)

  • Sweelinck Fantasia in d

Francesco Tristano

  • Aria for RS

Girolamo Frescobaldi

  • Aria La Folia

John Bull (1562/63–1628)

  • Piper‘s Galliard, Prelude, Hunter‘s Jigg

Francesco Tristano

  • On John Bull Galliard in D
  • Toccata

Es gebe in seinem musikalischen Leben zwei frühe Leidenschaften, sagte der aus Luxemburg stammende Pianist Francesco Tristano kürzlich im Gespräch: Einerseits die Barockmusik, andererseits den sogenannten Fusion-Jazz aus den 70er Jahren. Dafür stehen Namen wie Return to Forever mit Chick Corea oder Weather Report mit Wayne Shorter und Joe Zawinul. Aber das Alte und das Neue stehen bei Tristano nicht getrennt nebeneinander. Immer wieder hat er versucht, diese Ebenen zu verbinden. Frescobaldi Dialogues heisst ein frühes Album von 2007. In seinen Konzerten wechselt er nicht nur von akustischen zu elektrischen Instrumenten, sondern auch von Barockem zu Jazzigem. Ausserdem stellte er schon bald Musik von Bach und Cage oder Scarlatti und Techno zusammen. Die Stücke der barocken Komponisten, die selber glänzende Improvisatoren waren, treffen jeweils auf die improvisierten Paraphrasen Tristanos. Kein Wunder, steht ihm auch ein Friedrich Gulda musikalisch nahe.
«Ich wuchs mit viel Alter Musik auf, sie löst in mir tiefe Gefühle aus,» erzählt er im Booklet der CD on early music (aus dem alle folgenden Zitate stammen). 2018 erwarb er die Noten des Fitzwilliam Virginal Book, das Musik für Tasten­instrumente aus dem ersten elisabethanischen Zeitalter, also von William Byrd, Thomas Tallis, John Bull, Giles Farnaby u.a. enthält. Er begann dieses Repertoire zu erkunden und auf seine eigene interpretatorische/­improvisatorische Weise zu erarbeiten. Und so kombiniert er auf on early music Stücke aus jener Schwellenzeit um 1600 mit Eigenem, wobei die Grenzen zuweilen fliessend sind.
Als er das Programm entwickelte, sei er jeweils frühmorgens aufgestanden, erzählt Tristano. «Der Sonnenaufgang ist zwar sehr kurz, aber die dabei entfesselte Energie ist einzigartig. Das Licht und die Farben verändern die Art des Sehens und Fühlens.» Diese einzigartige Energie finde sich häufig auch in Alter Musik. Während der Arbeit daran hatte er eine Art Erscheinung: «An einem sehr spezifischen Moment gegen Ende eines bestimmten Stücks schien es, als ob die Musik in eine harmonische Sequenz ‚eingewickelt‘ sei, die das Ende einer komplexen Entwicklung andeute und in einen beruhigenden Schluss übergehe. Das kam mir wie Ende und Neubeginn vor – wie ein Lebenszyklus.» Dieses Gefühl wollte er erkunden.
Von diesem prägenden Kernkonzept aus begann on early music Gestalt anzunehmen.Tristano nahm Ende 2019 einige seiner Lieblingsstücke aus diesem elisabethanischen Repertoire auf, realisierte aber bald, dass das Projekt nicht nur aus Alter Musik bestehen könne. So komponierte er eigene barock-inspirierte Stücke und überarbeitete einige der Stücke, die er bereits aufgenommen hatte. «Ich wollte, dass die Aufnahme auf glaubwürdige Weise meine Beziehung zu diesem Repertoire zeigt. Aber ich wollte auch etwas Neues und Originales einbringen.» So findet sich hier zum Beispiel ein friedvolles Stück voller Grazie wie die Aria for RS.
Tristanos Stück On John Bull Galliard in D ist ein Barockfake, ein rhythmisches Vergnügen, heiter und übermütig. «Überhaupt ist Alte Musik äusserst rhythmisch, und ich liebe gerade den ihr innewohnenden Groove. Das wollte ich widerspiegeln.» Dazwischen erscheinen einige der grössten englischen Komponisten und Organisten wie Orlando Gibbons und John Bull, der Niederländer Jan Pieterszoon Sweelinck und schliesslich Girolamo Frescobaldi, von dessen Musik Tristano schon immer stark inspiriert wurde.
Was auf der CD bearbeitet und überlagert wurde, erscheint im Konzert nun in einem fliessenden Wechsel. «Alte Musik hat eine wiederherstellende Kraft wie ein Sonnenaufgang, diese Werke lösen in mir ein erhebendes Gefühl aus. In ihnen steckt etwas wirklich Primitives, aber auch etwas Verjüngendes.» Schönheit, Verjüngung, Liebe, Energie: Das sind die Werte, die er in diesem Programm weitergeben möchte.
Thomas Meyer
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Orlando Gibbons (1583–1625) ist mit William Byrd und John Bull einer der drei Komponisten, deren Werke sich im ersten englischen Musikdruck mit Tastenwerken finden (Parthenia, 1613). Gibbons war Mitglied der Chapel Royal sowie der königlichen Privatkapelle und Organist an Westminster Abbey. Sein früher Tod ist einer der tragischen Verluste der englischen Musik, auch angesichts seines vielfältigen Werks mit geistlicher Vokal-, Consort- und Tastenmusik.
John Bull (1562/63–1628) war nicht nur der renommierteste Tastenvirtuose seiner Zeit, er besass auch zwei Universitätsabschlüsse (Bachelor in Oxford und Doktor in Cambridge). Bull gehörte der Chapel Royal an und unterrichtete als Professor am Gresham College of Music, aber schnell erwarb Dr. Bull sich auch einen Ruf als Rowdy und Sittenstrolch. Nachdem er als reisender Virtuose und (vermutlich) als Spion für Elisabeth I. auf dem Kontinent unterwegs gewesen war, floh er 1613 aus England – angeblich wegen seines katholischen Glaubens, wahrscheinlich jedoch eher wegen seines anrüchigen Lebenswandels. Nach einem kurzen Aufenthalt in Brüssel fand er in Antwerpen eine Anstellung; dort kam er mit dem in Amsterdam tätigen Sweelinck in Kontakt.
Jan Pieterszoon Sweelinck (1562–1621) war Organist an der Oude Kerk in Amsterdam (damals Teil der spanischen Niederlande). Da der calvinistische Gottesdienst jedoch keine Musik wünschte, spielte Sweelinck jeweils morgens und abends ein rund einstündiges, sozusagen «autonomes» Konzert. Unter den Werken des Komponisten finden sich sowohl protestantische Psalmen wie auch katholische Motetten, französische Chansons und italienische Madrigale. Auch seine Musik für Tasteninstrumente zielt auf eine Synthese der italienischen, spanischen und englischen Tradition. Sweelinck verliess seine Heimat nie, doch zog sein Ruhm viele Besucher – aus England John Bull, Orlando Gibbons und Peter Philips – und mehrere Schüler aus dem Ausland an, so aus Deutschland etwa Samuel Scheidt.
Girolamo Frescobaldi (1583–1643) wurde am Hof von Ferrara von Luzzasco Luzzaschi ausgebildet. 1601 kam er nach Rom, verbrachte dann einige Jahre in Brüssel und Mailand und wurde schliesslich für den Rest seines Lebens Organist an St. Peter in Rom, mit Abstechern nach Mantua und Florenz. In Rom verbreitete sich bald der Ruhm seiner Musik, die Kontrapunkt und brillante Virtuosität verband. Dass sich bei einem seiner Konzerte so viele Menschen versammelten, dass schliesslich der Fussboden des Petersdoms einbrach, ist wahrscheinlich eine Legende; Tatsache ist, dass er seine Frau erst heiratete, als sie mit dem zweiten Kind schwanger war. Zu seinen Schülern zählten Johann Jakob Froberger und Michelangelo Rossi, und noch Bach kopierte für sich seine Fiori musicali.