Sa 15.03.

19.30h Johanneskirche
Limmatstrasse 112

Abendandacht beim Dogen:
Musik von Monteverdi und seinen Kollegen an San Marco

Capella Ducale
Musica Fiata


Vespro da Camera

Biagio Marini (1594-1663)

  • Domine ad adjuvandum
    Salmi 1653

Giovanni Rovetta (1595–1668)

  • Dixit Dominus
    Salmi concertati 1626

Dario Castello (1602–1631)

  • Sonata terza à doi soprani
    Libro primo 1621

Claudio Monteverdi (1567–1643)

  • Confitebor tibi Domine
    Messa … et salmi 1650

Alessandro Grandi (?–1630)

  • Exaudi me Domine
    Ghirlanda sacra 1625

Giovanni Rovetta

  • Beatus vir à 5
    Düben-Sammlung

Dario Castello

  • Sonata VIII à due
    Libro primo 1621

Giovanni Rigatti (1613–1648)

  • Laudate pueri à 5
    Messa e salmi 1640

Dario Castello

  • Sonata IX à 3, doi soprani e fagotto
    Libro primo 1621

Claudio Monteverdi

  • Laudate Dominum
    Messa … et salmi 1650
  • Iste Confessor
    Selva morale 1641

Giovanni Rovetta

  • Magnificat à 6
    Salmi concertati 1626

Giovanni Rigatti

  • Ave Regina caelorum
    Salmi diversi 1646

Giovanni Rovetta

  • Litaniae della beata Vergine à 4
    Moteti concertati 1635

Capella Ducale
Marie Luise Werneburg Sopran
David Erler Altus
Johannes Gaubitz Tenor
Dominik Wörner Bass

Musica Fiata
Roland Wilson Zink und Leitung
Claudia Mende Violine
Adrian Rovatkay Fagott
Axel Wolf Chitarrone
Arno Schneider Orgel

musicafiata.com

Bis vor Kurzem war die Welt der klassischen Musik besessen von grossen Namen und Orten: Monteverdi und San Marco! Natürlich besteht kein Zweifel, dass Monteverdi ein grosser Komponist ist und für San Marco grossartige Werke schrieb. Allmählich erkennen wir aber, dass in Venedig abseits von San Marco ein eigenes musikalisches Universum existierte. Sehr wahrscheinlich haben Monteverdi oder Giovanni Gabrieli viele ihrer Werke für andere Aufführungsstätten komponiert. In seinen Briefen schrieb Monteverdi etwa, dass er durch auswärtige Aufträge ebenso viel verdiene wie in seinem Amt an San Marco. Sein Stellvertreter und Nachfolger, Giovanni Rovetta, sowie sein jüngerer Kollege Giovanni Antonio Rigatti publizierten zwar auch grossangelegte Werke, doch die meisten ihrer Werke waren für kleinere Besetzungen gedacht und für andere Kirchen Venedigs. Dabei waren Aufführungen keineswegs auf diese beschränkt, sondern konnten auch in privaten Häusern stattfinden. So evoziert das heutige Konzert denn auch nicht eine Vesper in San Marco, sondern eine private Abendandacht – etwa im Palast des Dogen.
Claudio Monteverdi (1567–1643) komponierte zwar einige kleinbesetzte Motetten, hingegen nur wenige kleinbesetzte Psalmvertonungen – Psalmen sind das Kernelement der Vesper. Das Confitebor tibi aus der posthum veröffentlichten Sammlung Messa … et Salmi (1650) existiert in zwei Fassungen, für eine bzw. für zwei Singstimmen; welche zuerst entstand, lässt sich nicht sagen. Das Stück beginnt ungewöhnlicherweise mit einer Adagio-Fassung des nachfolgenden instrumentalen Ritornello, das die einzelnen Strophen voneinander trennt. Auffällig sind die Wortmalereien bei et terribile (furchteinflössend) und das chromatische initium sapientiae (Anfang der Weisheit). – Laudate Dominum (aus der gleichen Sammlung) ist eine Solomotette für Bassstimme und Continuo. Das Continuo stellt aber nicht einfach eine Begleitung dar, sondern steht mit der Stimme (ungewöhnlicherweise) in einem echten Dialog. In Iste confessor (Selva morale 1641) sind nur die ungeraden Strophen vertont; auffällig ist die prägnante lebhafte Basslinie, die auch aus einem weltlichen Werk stammen könnte.
Tatsächlich ist Monteverdis Musiksprache in dieser geistlichen Musik mit ihrer Theatralik, ihren Affekten und Kontrasten kaum vom Stil seiner späten Madrigale und Opern zu unterscheiden. Seine jüngeren Kollegen Rovetta und Rigatti bedienen sich zwar auch dieser Sprache, sie kombinieren aber die Instrumente stärker mit den Stimmen, lassen sie die Gesangslinien imitieren oder die Texturen von Tutti-Abschnitten füllen.
Monteverdi hatte schon 1610 im Psalm Laetatus sum (Marienvesper 1610) einen Basso ostinato als «walking bass» verwendet, um das «Gehen» – hier nach Jerusalem – zu versinnbildlichen. Auch Rovetta und Rigatti setzen diese sowohl in der weltlichen wie der geistlichen Musik des 17. Jahrhunderts oft verwendete Kompositionstechnik ein.
In seinem Beatus vir benutzt Giovanni Rovetta (1595–1668) einen mit sechzehn Takten ungewöhnlich langen Basso ostinato. Über diesem Fundament eines sanften Dreiertakts haben verschiedene Elemente der Textausdeutung Platz: der sanfte Beginn Beatus vir (Selig der Mann), das Tutti bei Confirmatum est cor ejus (Sein Herz ist fest) oder die raschen «zitternden» Figuren bei Peccator videbit et irascetur (Der Gottlose sieht’s und wird zornig), die das Erbeben der Sünder darstellen. – Dreizehn Jahre nachdem Monteverdi sich in Venedig niedergelassen hatte, erschien Rovettas Publikation Salmi concertati (1626); sie enthält das Dixit Dominus und das Magnificat des heutigen Konzerts. Die Musik spricht die gleiche Sprache, wie wir sie in Monteverdis Selva morale von 1641 antreffen. Wäre es also möglich, dass der jüngere Komponist ihn beeinflusste? Seine Litaniae della beata Vergine à quattro kommt jedenfalls derjenigen Monteverdis durchaus gleich.
Giovanni Rigatti (1613–1648) verwendet in seinem Ave Regina caelorum ebenfalls einen Basso ostinato, allerdings einen viel kürzeren als Rovetta, erzielt aber eine ebenso starke musikalische Wirkung. Beeindruckend ist auch der Psalm Laudate pueri, in dem Rigatti die unterschiedlichsten Ideen und verschiedene Kombinationen von Stimmen und Instrumenten verwendet, um die Textaussage zu verdeutlichen.
Leider starb Rigatti, wie zwei seiner Kollegen an San Marco, schon relativ früh. Alessandro Grandi (?–1630) war vor Rovetta Monteverdis Stellvertreter an San Marco. Er komponierte und veröffentlichte insbesondere geistliche Werke für kleinere gemischte Besetzungen in einem expressiven Concertato-Stil. 1627 verliess er San Marco und nahm eine Stelle in Bergamo an, wo er schon bald an der Pest starb. Im Titel einer seiner Publikationen erscheint im Übrigen zum ersten Mal der Begriff Cantata.
Ähnlich produktiv und innovativ wie Grandi war auch Dario Castello (1602–1631). Er wurde 1624 als Violinist an San Marco angestellt; die Titelseite seiner beiden Publikationen mit Sonate concertate in stil moderno (1621 und 1629) bezeichnet ihn aber als Capo di Compagnia de Musici d’Instrumenti da fiato (Leiter eines Ensembles von Blasmusikern). In seinem stil moderno überträgt Castello die neue affektgeladene Sprache der Vokalmusik auf die Instrumentalmusik. Dazu verwendet er zahlreiche Angaben für das Tempo – allegro, adagio, presto und sogar adagioadagio – und für die Dynamik. Besonders auffällig sind auch die Echowirkungen, die Castello in die Musik einbaut.
Ebenfalls in diesem modernen Stil komponierte Biagio Marini (1594–1663), auch er Musiker an San Marco. Seine erste Publikation von 1617 heisst denn auch Affetti musicali. Marini gilt als einer der ersten Violinvirtuosen, der auch eine entsprechend virtuose und idiomatische Violinmusik komponierte.
Noch einmal zurück zu Monteverdi: Ohne sein Genie schmälern zu wollen, muss man doch festhalten, dass er in Venedig im Kreis von jüngeren begabten und innovativen Komponistenkollegen arbeiten und sich von ihnen auch anregen lassen konnte.
Roland Wilson

(Gekürzter Kommentar der CD Monteverdi & Friends: Vespro da Camera, cpo 555 317)