Fr 14.03.

19.30h St. Anna-Kapelle
St. Annagasse 11

Zum 500. Geburtstag von Giovanni Pierluigi da Palestrina

Giovanni Pierluigi da Palestrina:
Lamentationes Jeremiae Prophetae
Orlando di Lasso:
Prophetiae Sibyllarum

Cinquecento – Renaissance vokal
Cellini Consort


Gründonnerstag

Palestrina

  • Lamentationes: Lectio I – Incipit lamentatio Jeremiae Prophetae

Lasso

  • Prophetiae Sibyllarum: Sibylla Erythraea

Palestrina

  • Lamentationes: Lectio III – Jod. Manum suam misit hostis

Lasso

  • Prophetiae Sibyllarum: Sibylla Samia, Sibylla Cimmeria

***

Karfreitag

Palestrina

  • Lamentationes: Lectio I – De lamentatione Jeremiae Prophetae

Lasso

  • Prophetiae Sibyllarum: Sibylla Hellespontica

Palestrina

  • Lamentationes: Lectio III – Aleph. Ego vir videns paupertatem

Lasso

  • Prophetiae Sibyllarum: Sibylla Libyca, Sibylla Delphica

***

Karsamstag

Palestrina

  • Lamentationes: Lectio II – Aleph. Quomodo obscuratum est aurum

Lasso

  • Prophetiae Sibyllarum: Sibylla Agrippa

Palestrina

  • Lamentationes: Lectio III – Incipit oratio Jeremiae Prophetae

Cinquecento – Renaissance vokal
Terry Wey Altus
Achim Schulz Tenor
Tore Tom Denys Tenor
Tim Scott Whiteley Bariton
Ulfried Staber Bass

Cellini Consort
Brian Franklin Diskantgambe
Tore Eketorp Altgambe
Thomas Goetschel Bassgambe
Leonardo Bortolotto Violone

ensemblecinquecento.com
celliniconsort.ch

Propheten und Sibyllen

Einige der bekanntesten europäischen Kunstwerke finden sich in der Sixtinischen Kapelle, so etwa Michelangelos Bildfolge von der Erschaffung der Welt, Adam und Eva, Noah und die Sintflut … Weniger schnell als bei diesen Szenen mag sich uns die Aussage jedoch bei den zwölf grossen Figuren um sie herum erschliessen: sieben Männer im Wechsel mit fünf Frauen. Und der Hinweis, dass dies sieben Propheten des Alten Testaments und fünf Sibyllen der Antike sind, könnte die Darstellung noch rätselhafter machen – was haben sie miteinander zu tun?
Immerhin mag uns auch heute noch aus dem lateinischen Requiem die Textzeile Teste David cum Sibylla vom Beginn des Dies irae in den Ohren klingen: Sowohl der alttestamentliche David wie die antike Sibylle bezeugen darin den endzeitlichen Schrecken des Jüngsten Gerichts. Aber nicht nur das: Beide, Propheten wie Sibyllen, bezeugen an anderen Stellen auch die verheissungsvolle Ankunft des Messias. So wurden in christlicher Frühzeit sowohl Texte der Propheten wie der Sibyllen in das Repertoire der Liturgie aufgenommen. Während jedoch die Prophezeiungen der Sibyllen später – ausser in Spanien* – wieder verschwanden, blieben etwa die Lamentationes (Klagelieder) des Propheten Jeremias ein fester Bestandteil der Gebetsgottesdienste in der Vorosterzeit. Diese wurden ursprünglich in der frühmorgendlichen Matutin, später dann im vorabendlichen Tenebrae-Gottesdienst (Finstermette) gesungen.
Das Konzert von Cinquecento und Cellini Consort folgt mit seinem Wechsel von Lamentationen und Prophezeiungen musikalisch frei Michelangelos Darstellung. Ein inhaltlicher Unterschied besteht allerdings: In der Sixtinischen Kapelle sind jene Propheten, unter ihnen auch Jeremias, dargestellt, die ebenso wie die Sibyllen das Kommen des Messias vorhersagen. Das Konzert dagegen folgt der Struktur des dreiteiligen vorösterlichen Tenebrae-Gottesdienstes, in dem die Klagen des Propheten Jeremias über die Zerstörung Jerusalems das Thema sind; ihnen antworten, rein instrumental, die Sibyllen mit ihren Visionen des kommenden Erlösers.
Die Lamentationen stammen aus dem zweiten Buch der Vertonungen von Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525/26–1594). Er gilt gemeinhin als Komponist eines ausbalancierten Wohlklangs, wie ihn etwa die populäre Missa Papae Marcelli prägt, und nicht so sehr einer expressiven Musiksprache. Gerade diese wurde aber in den Lamentationes Jeremiae Prophetae verlangt, wie ein Zeitgenosse Palestrinas, Pietro Cerone, es formulierte: In dieser Musik macht der Komponist, mehr als in jeder anderen, Gebrauch von Dissonanzen, Vorhalten und klanglichen Härten, um sein Werk traurig klingen zu lassen, ganz wie es der Sinn der Worte und der liturgische Anlass erfordern.
Angesichts dieses (vermeintlichen?) Gegensatzes mag es überraschen, dass aus Palestrinas Feder vier oder fünf vollständige Zyklen der Lamentationes stammen – auch wenn wir nicht wissen, ob sich der Komponist diesem Werkzyklus aus eigenem Antrieb oder aufgrund von Aufträgen so aussergewöhnlich oft zuwandte. Einen dieser Zyklen veröffentlichte er 1588 in Rom und Venedig; er gilt heute als Liber Primus. Allerdings käme dieser Rang wohl eher dem heutigen Liber Secundus zu, von dem man eine frühere Entstehungszeit annimmt. Es ist in zwei Codices der Basilika San Giovanni in Laterano erhalten, in denen sich auch die einzigen handschriftlichen Zeugnisse Palestrinas finden.
Wenn das zweite Buch tatsächlich in Palestrinas Amtszeit am Lateran entstand (1555–60), so hätte dieser Werkzyklus möglicherweise auch eine biographische Note. Denn er entstand unter Umständen, in denen Palestrinas Karriere nicht so ganz nach Wunsch verlief. Papst Julius III. – früher Bischof von Palestrina – berief den dort als Organisten tätigen Komponisten 1551 nach Rom und ernannte ihn zum Leiter der Cappella Giulia; dieses Ensemble war die Privatkapelle des Papstes. 1554 unterstützte der Papst auch Palestrinas erste Publikation von Messen, und im Jahr darauf ernannte er ihn gleich noch zum Leiter der renommierten Cappella Sistina, der offiziellen päpstlichen Kapelle. Auf Papst Marcellus II. – nach sehr kurzer Amtsdauer verstorben, aber Widmungsträger der heute populären Missa Papae Marcelli – folgte Paul IV. Im Sinn der Gegenreformation verfügte dieser drakonische Massnahmen: Alle Sänger, die verheiratet waren oder (weltliche) Madrigale veröffentlich hatten, mussten die Sistina verlassen – und auf Palestrina traf gleich Beides zu … Der Komponist fand zwar schnell eine neue Stelle an der Laterankirche (1555–60) und danach an Santa Maria Maggiore (1561–65); ein Karriereknick war das dennoch, und so mag in der Musik des Zweiten Buches der Lamentationes möglicherweise auch etwas persönliche Trauer mitschwingen …
Dass Palestrina die Stelle an der Laterankirche übernehmen konnte, hatte seinerseits mit der wechselhaften Karriere eines jüngeren Kollegen zu tun: Orlando di Lasso (ca. 1532–1594). Im heutigen Belgien geboren, gelangte dieser im Gefolge eines Söldnerführers schon in der Jugend nach Italien, als einer der in Italien begehrten franko-flämischen Musiker. Dort war er an verschiedenen Höfen tätig, nahm vermutlich auch dort seinen italianisierten Namen an und bekam als gerade mal Einundzwanzigjähriger in Rom die Stelle des Kapellmeisters an der Laterankirche angeboten. Er übte das Amt aber – etwas rätselhaft – nur gerade ein Jahr aus, so dass es 1555 «passenderweise» gleich wieder frei wurde: für den vom Papst entlassenen Palestrina nämlich. Lasso führte sein Wanderleben noch einige Zeit weiter, wurde dann aber an den Hof von München engagiert, zuerst als Sänger, ab 1563 als Kapellmeister, und dort blieb er schliesslich sein ganzes Leben lang.
In einer Reihe von Aufsehen erregenden Werken (die er aber nicht veröffentlichen durfte, da der Herzog von Bayern sie als seinen Privatbesitz betrachtete) komponierte Lasso dort auch die Prophetiae Sibyllarum. Dies ist ein Zyklus von 12 vierstimmigen Motetten (plus einem Prolog) in einer durchwegs chromatischen, harmonisch stets changierenden Musiksprache. Diese schafft so eine Sphäre des Geheimnisvollen, des Ungewöhnlichen und nicht ganz Verständlichen. Damit entsprechen sie der Aussage der Texte, die in immer wieder neuen Varianten das Weihnachtsgeschehen voraussagen, die mysteriöse Geburt des Erlösers und Friedensfürsten als Sohn einer Jungfrau.*
Das Gegenüber von Palestrinas Lamentationes und Lassos Prophetiae mag also in gewisser Weise das Gegenüber von Michelangelos Propheten und Sibyllen an der Decke der Cappella Sistina evozieren.

* Eine ausführlichere Darstellung zu diesem Thema findet sich im Programmheft Mysterium I.