Dieses Ticket gilt auch für L’Arte di Giuseppe Tartini (Teil I)


So 25.09.

19.15h Kirche St. Peter

Arte di Giuseppe Tartini (II)

La Voce dell’arco

Concerti und Sinfonien von Giuseppe Tartini und Pietro Locatelli

Chouchane Siranossian Violine solo
Zürcher Barockorchester

Monika Baer und Renate Steinmann Leitung

chouchane-siranossian.com
zuercherbarockorchester.ch


Pietro Locatelli (1695–1764)

  • Allegro
    Introduzione teatrale op. 4/5, 1. Satz

Giuseppe Tartini (1692–1770)

  • Concerto d-Moll D44
    Allegro assai – Grave – Allegro

***

Pietro Locatelli

  • Il Pianto d’Arianna. Concerto grosso Es-Dur op.7/6
    I. Andante – Allegro – Adagio – Andante – Allegro
    II. Largo – Largo andante
    III. Grave
    IV. Allegro – Largo

***

Giuseppe Tartini

  • Sinfonia D-Dur
    Allegro – Andante – Presto

***
Pietro Locatelli

  • Andante
    Introduzione teatrale op. 4/5, 2. Satz

Giuseppe Tartini

  • Concerto A-Dur D96
    Allegro – Largo Andante – Presto

Pietro Locatelli

  • Presto
    Introduzione teatrale op. 4/5, 3. Satz

Mit dem Bogen singen?

Your principal practice and study should, at present, be confined to the use and power of the bow, in order to make yourself entirely mistress of the execution and expression of whatever can be played or sung, within the compass and ability of your instrument.
Euer Üben und Studieren sollte sich jetzt hauptsächlich auf den Einsatz und die Kraft des Bogens beschränken, damit Ihr vollständig Herrin der Ausführung und des Ausdrucks all dessen werdet, was innerhalb des Umfangs und der Möglichkeiten Eures Instruments gespielt oder gesungen werden kann.

Giuseppe Tartini in einem Brief an seine Schülerin Maddalena Lombardini (verheiratete Sirmen), Padua 1760, überliefert in der Übersetzung von Charles Burney.

Was Giuseppe Tartini (1692–1770) seiner Schülerin in diesem Brief empfiehlt, stellt die höchsten Anforderungen an das Violinspiel dar. Dass Tartini selbst die Kunst des Singens auf der Geige in höchster Perfektion beherrschte, ist einerseits durch Beschreibungen seines Spiels aus der Zeit überliefert, andererseits aber insbesondere durch sein Oeuvre bewiesen: Nicht weniger als 160 Konzerte und Sammlungen von Sonaten für sein Instrument, die Violine, sind von ihm dokumentiert. In seiner Wirkungsstätte Padua baute der autodidaktisch ausgebildete Virtuose eine eigene Schule auf, die auch Schüler aus dem Ausland anzog. Intensiv (seine Kritiker meinten: verschroben) betrieb er auch Forschungen zum Phänomen der Kombinationstöne (terzo suono), also von Tönen, die nicht gespielt werden, sondern nur in der Kombination zweier anderer erklingen. Diese Forschungen bewegten ihn auch dazu, in seinen Konzerten längere Passagen nur von den hohen Violinen begleiten zu lassen, da der Basston dazu bei den Zuhörenden im Ohr von selbst entstehe – dies allerdings nur bei perfekter Intonation der Spielenden.
Viele Partituren Tartinis enthalten in den Autographen jeweils einen oder mehrere kurze Texte zu einzelnen Sätzen. Diese Motti, die der Komponist zum Teil in einem verschlüsselten Alphabet notiert, sind kurze Zitate aus Gedichten oder Libretti von Pietro Metastasio und anderen Autoren. Sie dienen dem Komponisten als Vorlage und den Interpret*innen als «Vorgabe» des emotionalen Gehalts des jeweiligen Satzes, und sie verweisen natürlich auch auf das stets präsente Vorbild des Gesangs. So verlangen die beiden Violinkonzerte D44 und D96 zwar die für den Komponisten der Teufelstriller-Sonate sprichwörtlich gewordene «teuflische» Virtuosität; sie fordern von der Solovioline aber auch die oben zitierte Kunst des kantablen Spiels.
Im Concerto D44 trägt der erste Satz (Allegro assai) das Motto Torna all’amato, torna und der zweite (Grave) Ombra diletta, anch’ io. (Die Zitate werden den damaligen Interpret*innen vermutlich bekannt gewesen sein). Im Concerto D96 ist der zweite Satz (Largo Andante) eine Serenade, in der der Liebende – wortlos – klagt:
A’ rivi, a fonti, a fiumi / Correte, amare lacrime, / sin tanto che consumi / l’acerbo mio dolor.
Zu den Ufern, Brunnen und Flüssen lauft, bittere Tränen, bis mein heisser Schmerz sich auflöst.
Anders als der ortstreue Tartini reiste sein Zeitgenosse Pietro Antonio Locatelli (1695–1764) durch ganz Europa und wurde als Virtuose von Hof zu Hof gereicht. Seine stupende Technik führte auch ihn zu spannenden Kompositionsansätzen: Sein Opus 4 (1735) enthält einerseits Sei Concerti und andererseits eine Sammlung von Sei Introduttioni teatrali, alle in der Art der Opernsinfonia dreiteilig. Dies sind also «Opern-Ouvertüren ohne Opern» oder «Opern-Szenen ohne Szene».
Noch einen Schritt weiter geht Locatelli in seinem Opus 7 (1741); unter diesen (sechs) Concerti grossi findet sich das letzte mit dem Titel Il Pianto d’Arianna. Dieses Concerto greift rein instrumental die Geschichte der verstossenen Arianna (Ariadne) auf: Zwar hilft Arianna dem Helden Theseus durch das Labyrinth des Minotauros, wird von diesem jedoch auf der Insel Naxos in Einsamkeit und endloser Klage (pianto) zurückgelassen.
Der griechische Mythos endet zwar mit dem Erscheinen des Gottes Bacchus, der neues Liebesglück verheisst –, Locatelli jedoch konzentriert sich ganz auf Ariannas Klage. Dem Concerto ripieno (Tutti) steht in diesem Werk ein Solo-Quartett (Concertino) gegenüber. Dieses – insbesondere die Solovioline – «erzählt» die Geschichte bzw. evoziert Ariannas Emotionen zwischen Einsamkeit, Trauer, Empörung, Hoffnung, Resignation …
Locatelli gestaltet dies in vier Sätzen, aber mit einer Vielzahl von Abschnitten, die teilweise zwar ausgeschrieben, aber improvisatorisch-rezitativisch gehalten sind. Improvisation meint in der Zeit Tartinis und Locatellis vor allem auch die noch weit verbreitete Kunst der sogenannten Fiorituri – Auszierungen der Melodielinie – und andererseits die freie Gestaltung der Solo-Kadenzen. Im Konzert finden sich ausserdem auch improvisatorische Überleitungen der Solovioline, die von einem Werk zum nächsten führen. Sie wurden eigens für den dramaturgischen Verlauf des Programms konzipiert, so dass dieses selbst zu einer musikalischen Geschichte, einem «Dramma per Musica» für Instrumente wird.
Zürcher Barockorchester
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Pietro Antonio Locatelli (1695–1764) wurde in Bergamo geboren und erzogen; dort erhielt er auch seine erste Anstellung. Viele Jahre hielt er sich danach in Rom, im Umkreis der Corelli-Schule, auf. Nach Reisen in Italien und Deutschland liess er sich 1729 in Amsterdam nieder. Dort betätigte er sich hauptsächlich auf dem Gebiet des Drucks und Buchhandels und trat nur noch in privaten Kreisen auf. Was Tartinis L’arte del arco ist, ist Locatellis L’arte del violino (1733) mit 12 Violinkonzerten. Jedes von ihnen enthält nebst den üblichen drei Concerto-Sätzen zwei virtuose Capricci für Violine solo, die von extremer Schwierigkeit sind. Das 12. Concerto trägt denn auch den Titel Il Laborinto armonico – facilis auditus, difficilis exitus (Harmonisches Labyrinth – leicht zu hören, schwierig auszuführen).
Giuseppe Tartini (1692–1770) stammte aus Pirano (Pirna) und sollte Priester werden; er entschied sich jedoch für die Musik und die Ehe – und auch dem Fechten war er anscheinend sehr zugetan … Das Violinspiel brachte er sich autodidaktisch bei, aber als er den Virtuosen Francesco Maria Veracini spielen hörte, zog er sich für längere Zeit zurück, um sein Spiel zu perfektionieren. Mehrere Jahre verbrachte er in Prag, und von 1721 an war er in Padua tätig, wo er bald ein begehrter Lehrer wurde, mit Schülern aus ganz Europa. Unter seinen zahlreichen Concerti und Sonaten wurde vor allem die Sonate mit dem Teufelstriller berühmt – Tartini will das «Original» im Traum und inspiriert vom Teufel gehört haben … Ambitiös ist L’arte del arco: ein riesiger Zyklus von rund 50 Variationen (davon einige vielleicht nicht von Tartini) über eine Gavotte von Corelli.
Das sogenannte Padua-Manuskript enthält zahlreiche Sonaten (Piccole sonate), dazu Einzelsätze und Skizzen, die unveröffentlicht blieben; manche waren vermutlich für den Unterricht gedacht. Sie widerspiegeln Tartinis Entwicklung von einem barocken zu einem vereinfachten galanten oder vorklassischen Stil. Die Sonaten sind zwar mit einer Bassstimme versehen (per ceremonia – aus Konvention), doch Tartini zog eine Aufführung nur mit Violine vor, das sei seine eigentliche Absicht gewesen: Io le suono senza bassetto, et questo e la mia vera intentione. – Für einen Interpreten wie Matthieu Camilleri bieten die Einzelsätze und Fragmente des Manuskripts natürlich einen starken Anreiz zur improvisierenden Weiterführung der Musik.
Tartini beschäftigte sich wiederholt auch mit didaktischen und theoretischen Themen, so etwa im Trattato degli abbellimenti (Traktat über die Verzierungen), aus dem Leopold Mozart ganze Passagen in seiner Violinschule zitiert. Intensiv betrieb Tartini auch Forschungen zum Phänomen der Kombinations- oder Differenztöne. In seinem Trattato di musica secondo la vera scienza dell’armonia (1754) beschreibt er als erster den terzo suono. Dieser Dritte Ton wird nicht gespielt, sondern erklingt durch die Überlagerung zweier Einzeltöne nur im Ohr; der Differenz- oder Kombinationston ist stets tiefer als die beiden gespielten Töne. Diese Tartini-Töne werden heute auch zur medizinischen Diagnose des Gehörs verwendet und können den Musiker*innen Rückmeldung zu ihrer Intonation geben.

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