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Sa 18.09.

17.15h St. Anna-Kapelle

Musikkünste – Kochkünste I

Two Lutes with Grace
Lautenkünste der Renaissance

Marc Lewon & Paul Kieffer Plektrumlauten & Quinterne
Grace Newcombe Gesang

lewon.de
gracenewcombe.com


Josquin Desprez (ca. 1450/55–1521) & Francesco Spinacino (tätig um 1507)

  • La bernardina de Ioskin – Intabulatura de lauto
    Ottaviano dei Petrucci, Venezia 1507

Anonym & Johannes Martini

  • J’ay pris amours* – Rondeau
    Chansonnier Cordiforme & Biblioteca nazionale centrale,
    (Firenze)

Francesco Spinacino

  • Jay pris amours
    Ottaviano dei Petrucci, Venezia 1507

Anonym

  • [J’ay pris amours]
    Codex Perugia, Biblioteca Comunale Augusta, Perugia

Roelkin (15. Jh.)

  • De tous biens plaine
    Codex Segovia, Archivo de la Catedral, Segovia

Gilles de Bins dit Binchois (ca. 1400–1460)

  • Comme femme desconfortee*
    Chansonnier Cordiforme

Johannes Tinctoris (ca. 1430/35–1511)

  • Comme femme
    Codex Segovia

Alexander Agricola (ca. 1445/46–1506)

  • Comme femme desconfortee
    Codex Segovia

Alexander Agricola & Johannes Ghiselin (tätig um 1491–1507)

  • [Duo]
    Codex Perugia

Francesco Spinacino

  • Fortuna desperata – Intabulatura de lauto
    Ottaviano dei Petrucci, Venezia 1507

Johannes Tinctoris

  • De tous bien pleine
  • Le souvenir
    Codex Segovia

Alexander Agricola

  • Gaudeamus omnes in Domino
    Codex Segovia

Anonym

  • Tandernaken*
    Arr. Crawford Young (*1952)
  • Tandernaken

Johannes Tinctoris

  • [Alleluja]
    Codex Segovia

Joan Ambrosio Dalza (tätig um 1508)

  • Calata a doi lauti – Intabulatura de lauto
    Ottaviano dei Petrucci, Venezia 1508

Walter Frye († vor Juni 1475)

  • So ys emprentid*
    Mellon Chansonnier

Anonym

  • Tenor So ys emprentyd
    Jesus College, Oxford, MS 5 vorderer Einband

Anonym

  • Mit ganczem willen wünsch ich dir*
    Rekonstr. Marc Lewon
    Lochamer Liederbuch, Nürnberg ca. 1450

Anonym

  • Mit ganzem willen wünsch ich dir
    Orgeltabulatur
    Arr. Crawford Young
    Lochamer Liederbuch / Paul Kieffer

*vokal

Eveline Gurtner Haussener Rezeptkonzeption und Catering

Die Liebe zum Kochen und Backen wurde Eveline Gurtner, der Tochter einer leidenschaftlichen Köchin und eines kreativen Bäcker-Konditors, bereits in die Wiege gelegt. Zusätzlich beeinflusst von unterschiedlichsten MentorInnen, entwickelte sie im Laufe der Zeit ein fundiertes handwerkliches Wissen und entdeckte eine breite Palette an Rezepten aus aller Welt. 1994 schloss sie ihre erste Berufsausbildung als Fotografin ab, später eine Ausbildung zur Erwachsenenbildnerin. Seit 2006 widmet sie sich gänzlich der Kulinarik mit all ihren Facetten; 2019 gründete sie ihre Catering- und Event-Firma Essen macht Freu(n)de. Heute arbeitet sie vollberuflich als Kochkursleiterin, Rezeptautorin und Köchin. Eveline Gurtner kocht bevorzugt mit regionalen und saisonalen Zutaten und zaubert daraus Altbewährtes, aber auch faszinierende Neukreationen.

www.essenmachtfreunde.ch

Pietrobono und das Lautenduo des 15. Jahrhunderts

Zu Lebzeiten galt Pietrobono dal Chitarino (ca. 1417–1497) aus Ferrara als weltbester Lautenist. Heute ist er «stumm», da keine Aufzeichnungen der Musik existieren, die er an den italienischen Fürstenhöfen des 15. Jahrhunderts aufführte. Dieses Schicksal teilt er mit anderen berühmten Instrumentalisten seiner Zeit, denn nur wenige notierte Beispiele instrumentaler Musik sind uns aus dieser Epoche überliefert. Dennoch ist nicht alles verloren. Vor allem geben lateinische Gedichte einiger Gelehrter eine überraschende Menge an Informationen preis.
Dies betrifft vor allem auch das Genre des Lautenduos, das im Zentrum des Konzerts steht. Diese Besetzung wurde von Pietrobono selbst vorgelebt, da er sich in seinen Aufführungen stets von einem Tenorista begleiten liess. Über das Repertoire dieses berühmten Duos berichtet der halbblinde Aurelio Brandolini Lippi, der Pietrobono anlässlich eines Hochzeitsbanketts in Neapel 1473 spielen hörte. Rhetorisch fragt Lippi: Welche Weisen spielt er auf seinen Saiten? Und er antwortet selbst: Alle Lieder, die Britannien singt, von den Musen geliebt, und Frankreich, nicht weniger von den Musen begünstigt, die flehenden Klagegesänge Spaniens in seinen weiten Landen und die Lieder des ernsthaften Italiens. Pietrobono sang also bekannte Lieder eines internationalen Repertoires.
Lippi berichtet auch, wie das Duo-Spiel von Pietrobono und seinem Tenorista vor sich ging: Der Tenorista beginnt verschiedene Lieder mit erfahrenem Plektrum und spielt ganze Lieder in beständigem Rhythmus; der andere beginnt seine Reise mit fliegender linker wie rechter Hand, mit den Fingern der einen und dem flinken Plektrum in der anderen, die gemeinsam im Einklang wirken. Über das gesamte Lied hinweg überschreitet er die vorgegebenen Grenzen und erfindet unablässig neue Rhythmen.
Der Tenorista, der den Tenor oder die Unterstimmen der Lieder beisteuerte, gab also ein rhythmisch geregeltes Metrum vor, über dem Pietrobono die Melodie rhythmisch frei und improvisierend gestaltete. Völlig frei war er jedoch nicht, da er sich natürlich trotzdem auf die «Vorgabe» des Tenorista beziehen musste.
Im Konzert ist das Repertoire der Lautenduos des 15. Jahrhunderts abgebildet, mit einem Schwerpunkt bei französischen, englischen und deutschen Hits dieser Zeit. Fünf Stücke erklingen zuerst im vokalen Original, danach in instrumentalen Versionen für Lautenduo.
Viele dieser Vokalstücke – aus der Zeit vor dem Musikdruck – sind in einem sogenannten Liederbuch, Chansonnier oder Codex überliefert. Sowohl das anonyme Rondeau J’ay pris amours wie auch Comme femme desconfortee von Gilles Binchois finden sich im Chansonnier Cordiforme. Dies ist eines der extravagantesten Musikmanuskripte der ganzen Musikgeschichte: Geschlossen hat es die Form eines einzelnen Herzens, geöffnet diejenige von zwei Herzen. Die symbolische Bedeutung ist unübersehbar …
Angefertigt wurde das Manuskript um 1475 für Jean de Montchenu, früher Kleriker im savoyischen Genf, dannzumal Bischof in Agen. Seine musikalische Bildung scheint beträchtlich grösser gewesen zu sein als seine Moralbegriffe; in einem zeitgenössischen Text wird er als skrupelloses Scheusal geschildert. – Der Chansonnier enthält 43 dreistimmige Chansons: 30 davon auf französische und 12 auf italienische Texte, dazu ein einzelnes spanisches Lied, das der Schreiber vermutlich für italienisch hielt.
Wie weit manche dieser Lieder verbreitet waren, zeigt sich daran, dass sie in Codices aus ganz Europa erscheinen: so etwa auch im Codex Segovia, der rund 200 Werke enthält, von denen manche sich nur in diesem Codex erhalten haben. Das gilt auch für die beiden Versionen von De tous bien pleine (est ma maistresse), das von Hayne van Ghizeghem stammt und mit rund 50 erhaltenen Versionen vielleicht das meistverbreitete Stück dieser Zeit ist. Andererseits existiert manches Stück nur gerade ein einziges Mal, so auch Tenor So ys enprentyd etc. Dabei handelt es sich um eine neue Tenorstimme zu Walter Fryes gleichnamigem Lied. Dieses «Stück» fand sich kurioserweise im vorderen Einband eines Manuskripts des Jesus College, Oxford; man scheint es irgendwann nicht mehr geschätzt und das Pergament kurzerhand anderweitig verwendet zu haben …
Das deutsche Gegenstück zu Chansonier und Codex ist das Liederbuch. Das Lochamer Liederbuch gilt als erste deutsche Liedsammlung und ist eine der wichtigsten Quellen deutschsprachiger Musik im 15. Jahrhundert. Seinen Namen erhielt es von einem Eintrag in der Mitte des Manuskripts: Wolflein von Lochamer ist das gesenngk püch (Das Gesangbuch gehört Wolflein von Lochamer). Entstanden um 1452 in Nürnberg, enthält es 50 Gesangsstücke (9 davon mehrstimmig) und 32 Instrumentalstücke. Mit ganczem willen erklingt denn auch in der originalen Vokal- und einer davon abgeleiteten Instrumentalfassung.
Allerdings beruhen nicht alle Stücke des Konzerts auf vokalen Vorlagen. Josquins La Bernardina scheint durchaus ein originär instrumentales Ensemblestück zu sein – eines der wenigen existierenden. Und auch Tanzmusik ist aus dieser Zeit überliefert, so die Calata a doi lauti von Joan Ambrosio Dalza. Tanz war ein unentbehrlicher Bestandteil des höfischen Lebens, und die meisten Hofmusiker hatten sich in irgendeiner Weise wohl daran zu beteiligen. Alles andere als tänzerisch sind dagegen Duo-Stücke (sowohl aus dem Codex Perugia wie aus dem Codex Segovia) mit überraschenden Einsätzen, abrupten Pausen, unerwarteten Verlangsamungen oder scheinbar willkürlichen Läufen. Sie mögen vielleicht nur blasse, aber wenigstens überlieferte Abbilder dessen sein, was ein Lautenvirtuose vom Format eines Pietrobono zu spielen in der Lage war.

Text gekürzt nach Bonnie J. Blackburn und Marc Lewon in der CD «Two Lutes with Grace».